Page 4 - Luzerner Stadtwoche - KW 34 - 2020
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                       «Man darf das Schicksal nicht zu seinem eigenen machen»




          Nadine Gerber ist ein «Foto-     deutschen Piper-Verlag erschie-                                                                     «Unvergessen – Dein Bild für die
          engel». Das heisst, sie fotogra-  nen ist, genau dieses Thema ge-                                                                    Ewigkeit» ist in allen Online-
          fiert ehrenamtlich Familien      wählt.                                                                                              Buchhandlungen und in aus-
          mit  schweren  Schicksalen  –                                                                                                        gewählten Geschäften erhält-
          behinderten oder kranken            Fiktion und Realität im                                                                          lich. Mehr Infos gibt es unter:
          Kindern oder Totgeburten.                 Gleichschritt                                                                              www.nadinegerber.ch
          Jetzt hat die Autorin über die   «Ich gehe nicht gerne den ein-                                                                                                   pd
          «Fotoengel» einen Roman ge-      fachsten Weg und ich finde es
          schrieben. Einfühlsam gibt       wichtig, die Menschen auf diese
          sie Einblick in die schwierige   Themen zu sensibilisieren.» Zu                                                                           Darum geht es in
          Arbeit und verpackt das alles    viel werde unter den Tisch ge-                                                                            «Unvergessen»
          in eine emotionale Liebesge-     kehrt, eine Totgeburt etwa, sagt                                                                     Emma ist ein Engel. Ein Fotoen-
          schichte.                        Gerber. Über Krebs oder einen                                                                        gel. So nennt die Organisation
                                           Unfall könne man offen reden,                                                                        «Unvergessen» ihre Fotogra-
          «Unvergessen – Dein Bild für  man werde unterstützt und be-                                                                           fen, die Familien, die schwere
          die Ewigkeit» – so lautet der Ti-  gleitet. «Doch bei einer Totge-                                                                    Schicksalsschläge erleben, pro-
          tel des neuen Romans der Zür-    burt sind viele überfordert und                                                                      fessionelle Fotos als Erinnerung
          cher Autorin Nadine Gerber.  ziehen sich zurück.» Niemand                                                                             an einen geliebten Menschen
          «Unvergessen» heisst die Orga-   aus dem Umfeld  hat  das  Baby                                                                       schenken.
          nisation, für die Protagonistin  gesehen. Doch es war da, fünf-                                                                       Eines  Tages  soll Emma eine
          Emma als «Fotoengel» tätig ist.  zig Zentimeter gross, drei Kilo                                                                      junge Familie fotografieren. Die
          Mutig geht sie immer wieder in  schwer.                                                                                               Mutter wird nach einer Hirnblu-
          schwierige Situationen hinein,  Wie Emma aus dem Roman hat                                                                            tung  während der Geburt nur
          um vom Schicksal gebeutelten  auch Nadine Gerber ihre Ri-                                                                             noch von Maschinen am Leben
          Familien Fotos zu schenken, die  tuale, die ihr dabei helfen, die                                                                     erhalten. Emmas Fotos sind die
          bald die einzige Erinnerung an  Schicksale nicht zu nah an sich                                                                       einzigen Erinnerungen für das
          einen geliebten Menschen sein  heran zu lassen. Laute, fröhli-                                                                Bild: zVg  Baby, das ohne Mutter aufwach-
          werden. Bei einem solchen Ein-   che Musik etwa. «Das ist kein  Die Zürcher Autorin Nadine Gerber präsentiert ihren dritten Roman.    sen wird. Also ein typischer Fall
          satz trifft sie eines Tages auf den  Affront, es hilft, professionell                                                                 für Emma.
          jungen Witwer Lukas – und das  zu bleiben und die Arbeit gut zu  im Fokus. «Letztlich ist «Unver-   «Die Menschen hatten zwar         Doch dieser Einsatz ist ein ganz
          Schicksal der beiden nimmt sei-  machen.»                         gessen» ein schöner, emotiona-    mehr Zeit zu lesen, aber sie hat-  besonderer – nicht nur we-
          nen Lauf.                        Die Schicksale in «Unverges-     ler Liebesroman, der einfach  ten negativ konnotierte The-          gen des unglaublich traurigen
          Situationen, die Nadine Ger-     sen» sind allesamt fiktiv. Und  sehr real ist.»                    men satt», glaubt Gerber. «Da-    Schicksals. Emma spürt instink-
          ber selbst nur zu gut kennt.  trotzdem sehr real, weil sie in                                       bei ist das Buch überhaupt nicht   tiv: Sie kann ihrer Vergangenheit
                                                                                                                                                nicht mehr entkommen. Die Ver-
          Seit mehreren Jahren ist sie  ähnlicher Form mehrfach täg-               Perfekte Lektüre           negativ, im Gegenteil, es strotzt   bindung zur Vergangenheit und
          für den Schweizer Verein «her-   lich irgendwo in der Schweiz          für die Sommerferien         nur vor Lebensfreude.» Des-       der Weg zu Emmas Glück ist der
          zensbilder.ch» als Fotografin tä-  oder auf der Welt passieren.  Gerber ist es in ihren Geschich-   halb hofft sie, dass jetzt, pünkt-  attraktive Witwer Lukas. Aus an-
          tig. «Man darf das Schicksal der  Deshalb gibt der Roman einen  ten generell wichtig, nah an der  lich zu den Sommerferien, viele     fänglichem Hass entsteht eine
          anderen nicht zu seinem eige-    sehr authentischen Einblick in  Realität zu bleiben, sie so zu er-  Menschen der Geschichte eine     ganz  besondere  Freundschaft.
          nen machen», sagt sie. «Sonst  die Arbeit der «Fotoengel», wie  zählen, wie sie tatsächlich pas-    Chance geben. «Sie werden si-     Und bald muss sich Emma die
          geht man kaputt.» Trotzdem  die ehrenamtlichen Fotogra-           siert sein könnten. «Unverges-    cher nicht enttäuscht sein, die   Frage stellen: Wie nah ist zu
          hat sie für ihren dritten Roman,  fen genannt werden. Natürlich  sen» ist just zu Beginn des Co-    Rezensionen  sind  bisher alle    nah?
          der im April im renommierten  steht aber die Liebesgeschichte  rona-Lockdowns erschienen.  super», so die Autorin lachend.
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