Page 4 - Luzerner Seewoche - KW 34 - 2020
P. 4
SEITE 4 DIENSTAG, 18. AUGUST 2020
«Man darf das Schicksal nicht zu seinem eigenen machen»
Nadine Gerber ist ein «Foto- deutschen Piper-Verlag erschie- «Unvergessen – Dein Bild für die
engel». Das heisst, sie fotogra- nen ist, genau dieses Thema ge- Ewigkeit» ist in allen Online-
fiert ehrenamtlich Familien wählt. Buchhandlungen und in aus-
mit schweren Schicksalen – gewählten Geschäften erhält-
behinderten oder kranken Fiktion und Realität im lich. Mehr Infos gibt es unter:
Kindern oder Totgeburten. Gleichschritt www.nadinegerber.ch
Jetzt hat die Autorin über die «Ich gehe nicht gerne den ein- pd
«Fotoengel» einen Roman ge- fachsten Weg und ich finde es
schrieben. Einfühlsam gibt wichtig, die Menschen auf diese
sie Einblick in die schwierige Themen zu sensibilisieren.» Zu Darum geht es in
Arbeit und verpackt das alles viel werde unter den Tisch ge- «Unvergessen»
in eine emotionale Liebesge- kehrt, eine Totgeburt etwa, sagt Emma ist ein Engel. Ein Fotoen-
schichte. Gerber. Über Krebs oder einen gel. So nennt die Organisation
Unfall könne man offen reden, «Unvergessen» ihre Fotogra-
«Unvergessen – Dein Bild für man werde unterstützt und be- fen, die Familien, die schwere
die Ewigkeit» – so lautet der Ti- gleitet. «Doch bei einer Totge- Schicksalsschläge erleben, pro-
tel des neuen Romans der Zür- burt sind viele überfordert und fessionelle Fotos als Erinnerung
cher Autorin Nadine Gerber. ziehen sich zurück.» Niemand an einen geliebten Menschen
«Unvergessen» heisst die Orga- aus dem Umfeld hat das Baby schenken.
nisation, für die Protagonistin gesehen. Doch es war da, fünf- Eines Tages soll Emma eine
Emma als «Fotoengel» tätig ist. zig Zentimeter gross, drei Kilo junge Familie fotografieren. Die
Mutig geht sie immer wieder in schwer. Mutter wird nach einer Hirnblu-
schwierige Situationen hinein, Wie Emma aus dem Roman hat tung während der Geburt nur
um vom Schicksal gebeutelten auch Nadine Gerber ihre Ri- noch von Maschinen am Leben
Familien Fotos zu schenken, die tuale, die ihr dabei helfen, die erhalten. Emmas Fotos sind die
bald die einzige Erinnerung an Schicksale nicht zu nah an sich einzigen Erinnerungen für das
einen geliebten Menschen sein heran zu lassen. Laute, fröhli- Bild: zVg Baby, das ohne Mutter aufwach-
werden. Bei einem solchen Ein- che Musik etwa. «Das ist kein Die Zürcher Autorin Nadine Gerber präsentiert ihren dritten Roman. sen wird. Also ein typischer Fall
satz trifft sie eines Tages auf den Affront, es hilft, professionell für Emma.
jungen Witwer Lukas – und das zu bleiben und die Arbeit gut zu im Fokus. «Letztlich ist «Unver- «Die Menschen hatten zwar Doch dieser Einsatz ist ein ganz
Schicksal der beiden nimmt sei- machen.» gessen» ein schöner, emotiona- mehr Zeit zu lesen, aber sie hat- besonderer – nicht nur we-
nen Lauf. Die Schicksale in «Unverges- ler Liebesroman, der einfach ten negativ konnotierte The- gen des unglaublich traurigen
Situationen, die Nadine Ger- sen» sind allesamt fiktiv. Und sehr real ist.» men satt», glaubt Gerber. «Da- Schicksals. Emma spürt instink-
ber selbst nur zu gut kennt. trotzdem sehr real, weil sie in bei ist das Buch überhaupt nicht tiv: Sie kann ihrer Vergangenheit
nicht mehr entkommen. Die Ver-
Seit mehreren Jahren ist sie ähnlicher Form mehrfach täg- Perfekte Lektüre negativ, im Gegenteil, es strotzt bindung zur Vergangenheit und
für den Schweizer Verein «her- lich irgendwo in der Schweiz für die Sommerferien nur vor Lebensfreude.» Des- der Weg zu Emmas Glück ist der
zensbilder.ch» als Fotografin tä- oder auf der Welt passieren. Gerber ist es in ihren Geschich- halb hofft sie, dass jetzt, pünkt- attraktive Witwer Lukas. Aus an-
tig. «Man darf das Schicksal der Deshalb gibt der Roman einen ten generell wichtig, nah an der lich zu den Sommerferien, viele fänglichem Hass entsteht eine
anderen nicht zu seinem eige- sehr authentischen Einblick in Realität zu bleiben, sie so zu er- Menschen der Geschichte eine ganz besondere Freundschaft.
nen machen», sagt sie. «Sonst die Arbeit der «Fotoengel», wie zählen, wie sie tatsächlich pas- Chance geben. «Sie werden si- Und bald muss sich Emma die
geht man kaputt.» Trotzdem die ehrenamtlichen Fotogra- siert sein könnten. «Unverges- cher nicht enttäuscht sein, die Frage stellen: Wie nah ist zu
hat sie für ihren dritten Roman, fen genannt werden. Natürlich sen» ist just zu Beginn des Co- Rezensionen sind bisher alle nah?
der im April im renommierten steht aber die Liebesgeschichte rona-Lockdowns erschienen. super», so die Autorin lachend.