Page 11 - Willisauer Woche - KW 49 - 2020
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DIENSTAG, 1. DEZEMBER 2020                                                                                                                                  SEITE 11





                                                                                                  Mit Herz und Verstand



                                                                                                                      einkaufen
           Politik mit


           Verstand und                                                                     Selbst die Pandemie hält Einkaufstouristen nicht davon ab, über die Grenze
                                                                                            shoppen zu gehen. Das irritiert die Schöftler Unternehmerin Sylvia Flückiger.
                                                                                            Die ehemalige Aargauer SVP-Nationalrätin will die Bevölkerung dazu sensibi-
           Vernunft                                                                         lisieren, gerade jetzt das heimische Gewerbe zu unterstützen und auch das Vi-
                                                                                            rus nicht unnötig zu verschleppen.

                                                                                            Gegen den Einkaufstourismus ist an-
                                                                                            scheinend kein Kraut gewachsen. Zahl-
                                                                                            reiche kantonale Gewerbeverbände in
                                                                                            Grenzregionen versuchen seit Jahren mit
                                                                                            gezielten Aktionen dieses KMU-unfreund-
           Corona, Corona, Corona                                                           liche Phänomen einzudämmen. Auch der
                                                                                 Bild: zVg
                                                                                            Schweizerische Gewerbeverband sgv hat
           Wo immer auch man die Zeitung öff-        Alfred Heer                            vor acht Jahren unter dem Motto «Ja zur
           net oder ins Internet geht, das Haupt-                                           Schweiz – Hier kaufe ich ein» eine Kam-
           thema ist und bleibt Corona. Die Co-    sen. Auch diese gehen heute im me-       pagne gegen den grenznahen Einkaufs-
           rona Task-Force hält zwei Mal wö-       dialen Coronarausch leider vielfach      tourismus lanciert. Selbst Corona scheint
           chentlich eine Medienkonferenz zum  vergessen.                                   die Einkaufstouristen nicht davon abzu-
           Thema ab. In Interviews geben diese                                              halten ennet der Grenze shoppen zu ge-
           unzähligen Experten ihre Prognosen  Wir waren über die vergangenen               hen. Für Sylvia Flückiger ist dies schwer
           zum Besten. Ich wusste gar nicht,  Jahrzehnte verwöhnt. Wir wurden               nachvollziehbar:  «Wer  immer  noch  im
           dass es so viele Corona-Experten  von grossen Seuchen verschont. Die             Ausland einkauft, schadet nicht nur die-
           gibt. Die Bevölkerung wird mit Schre-   Therapien werden auch bei schwe-         sen  Betrieben  zusätzlich,  sondern  hält
           ckensmeldungen in Panik versetzt.  ren Krankheiten immer besser. Die             sich erst noch nicht an die Empfehlun-
           Verstehen Sie mich nicht falsch bitte.  Lebenserwartung stieg stetig an. Wir     gen des Bundesrates zur Eindämmung
           Die Krankheit ist hochansteckend,  sind es uns nicht mehr gewohnt, dass          der Pandemie.» Für die ehemalige Aar-
           wie ich selber erfahren musste. Es  plötzlich eine Krankheit auftaucht, die      gauer SVP-Nationalrätin ist das Einkau-
           gibt auch viele schwere Verläufe und  wir  nicht kennen, und die wir  nicht      fen bei unseren KMU und Gewerblern
           viele Todesfälle. Aber ist es tatsäch-  beherrschen können. Es ist die Angst     eine Möglichkeit schweizerische Solida-                                      Bild: zVg
           lich notwendig, die Bevölkerung der-    vor dem Unbeherrschbaren, wel-           rität zu zeigen. «Es wäre wirklich wün-   Die ehemalige Aargauer Nationalrätin Sylvia
           massen auf Trab zu halten?              che uns verunsichert. In der Verunsi-    schenswert, wenn wir alle hier in der  Flückiger ärgert sich über den Einkaufstouris-
                                                   cherung werden Massnahmen ergrif-        Schweiz einkaufen, essen gehen und Fe-    mus, der auch in Coronazeiten floriert: «Er ist
           Die  Wirtschaft  bricht  weltweit  zu-  fen, welche die Lage zwar Corona-        rien machen – gerade jetzt, wo viele De-  schädlich für unsere Gesundheit und unsere
           sammen. In der Schweiz steuern wir  mässig verbessern können, aber zu            taillisten, aber auch die Gastronomie und  KMU-Wirtschaft.»
           auf eine rekordhohe Arbeitslosigkeit  unliebsamen Kollateralschäden füh-         die Tourismusgebiete auf ihre Kundschaft
           zu. Ganze Industrien bauen Arbeits-     ren. Arbeitslosigkeit, Einkommens-       angewiesen sind. Natürlich immer unter  schweigen. Denn auch in normalen Zei-
           plätze ab, Firmen gehen in den Kon-     verluste sind eine grosse psychi-        Einhaltung der Coronavorgaben.»           ten sorgt der Einkaufstourismus für kilo-
           kurs und eine Erholung zeichnet sich  sche Belastung, welche wieder zu                                                     meterlange Staus an der Grenze.
           so schnell nicht ab. Mit Milliarden an  Krankheiten führen können. Hier gilt
           Steuergeldern wird die Wirtschaft ge-   es  eine  Abwägung  zu  treffen.  Die-                                              Nationalrat will Einkaufstourismus
           stützt und die Schuldenlast muss von  ser Weg ist nicht einfach zu finden.                                                           unattraktiv machen
           den jungen Menschen getragen wer-       Aber man darf festhalten, dass wir in                                              Ein weiterer Versuch zur Eindämmung
           den. Diese sind denn auch die eigent-   der Schweiz, trotz hohen Fallzahlen,                                               des  Einkaufstourismus  hat  der  Natio-
           lichen Leidtragenden dieser Krise.  immer noch besser leben als in den                                                     nalrat in der kürzlichen Herbstsession
           Junge Menschen sind in der Regel  umliegenden Ländern mit Totallock-                                                       unternommen. Er stimmte zwei Stan-
           kaum von Corona betroffen, müssen  downs und Ausgangssperren. Wieso                                                        desinitiativen aus St. Gallen und Thur-
           aber sämtliche Massnahmen mittra-       dies so ist? Vermutlich nur deshalb,                                               gau zu. Beide verlangen, dass bei sämt-
           gen und müssen vor allem später ein-    weil der Schweizer gewohnt ist, sel-                                               lichen privaten Wareneinfuhren im In-
           mal den Schuldenberg abtragen. Wir  ber über sein Schicksal zu bestim-                                                     land die Schweizer Mehrwertsteuer zu
           älteren Semester sollten einmal den  men. Er stimmt vier Mal jährlich an                                                   zahlen ist, wenn man die ausländische
           jungen Menschen in diesem Lande  der Urne über politische Vorlagen ab.                                                     Mehrwertsteuer zurückverlangt. Sie wol-
           dankbar sein, welche diese Last auf  Man kann die Schweizer Bevölkerung                                           Bild: pixabay  len so Steuergerechtigkeit schaffen. Der
           sich nehmen. Wir dürfen auf unsere  nicht einsperren. Schweizerinnen und         Gerade jetzt ist es wichtig vor Ort einzukaufen.  Ball geht nun zurück zum Ständerat. Das
           jungen Menschen stolz sein. Trotz al-   Schweizer sind verantwortungsbe-                                                   ist ganz im Sinne von Flückiger: «Kon-
           lem dürfen wir den Lebensmut nicht  wusste Bürger. Das Volk ist der Sou-               Auch Medien stehen in der           sumentinnen und Konsumenten, die im
           verlieren. Auch Corona wird einmal  verän und die Regierung der Diener.                      Verantwortung                 Ausland einkaufen, bezahlen heute we-
           vorüber gehen. Es gilt jetzt kühlen  Massnahme müssen bei uns verhält-           Besonders ärgert sich die immer noch  der im Inland noch im Ausland Mehr-
           Kopf zu bewahren und nicht in Panik  nismässig sein. Selbstverständlich          engagierte Politikerin über Berichte und  wertsteuer. So subventionieren wir den
           zu verfallen. Es gilt auch weiter zu le-  kann man immer darüber diskutieren,    Prospekte mit denen das Shopping in aus-  Einkaufstourismus indirekt.» Für Flü-
           ben, auch weiter das Gastrogewerbe  ob einzelne Massnahmen über- oder            ländischen  Restaurants,  Möbelhäusern  ckiger ist es deshalb höchste Zeit, auch
           zu unterstützen. Sich im Hause ein-     untertrieben waren. Aber im Grossen      und anderen Läden  etc., in allen Facet-  gegenüber unseren Grenzkantonen ein
           zusperren, hilft weder der Wirtschaft  und Ganzen darf man doch festhalten,      ten angepriesen wird: «Es mag verständ-   positives  Zeichen  zu  setzen.  «Shoppen
           noch hilft man sich selber.             dass die Schweiz als Land die Co-        lich sein, wenn die Zeitungen in ihrer Not  im  grenznahen  Ausland schadet  unse-
                                                   rona-Krise bislang mit Vernunft und      solche Inserate annehmen, in ihren Ka-    rer KMU-Wirtschaft. Und dann beklagen
           Selbstverständlich  sind  Massenan-     Augenmass begeht. Diese Vernunft         nälen breit publizieren und Prospekte  sich die Leute über das Lädelisterben.
           sammlungen in Innenräumen zu ver-       rührt daher, dass man in der Schweiz     den Zeitungen beilegen. Damit lässt sich  Gerade jetzt müssen wir Sorge dazu tra-
           meiden. Aber Sport in der freien Na-    nicht gegen das Volk, sondern nur mit    Geld verdienen. Aber auch sie bekamen  gen und alles tun, um Arbeits- und Aus-
           tur, ein Restaurantbesuch mit genü-     dem Volk regieren kann. Die Direkte      Corona-bedingte finanzielle Unterstüt-    bildungsplätze zu erhalten.» Die frühere
           gendem Abstand und ein Spazier-         Demokratie erweist sich auch in der      zung des Bundes. Das sind auch Steuer-    Unternehmerin wünscht sich, dass künf-
           gang im Wald sind ein Segen für das  Krise als Segen. Der Schweizer ist ein      gelder unserer KMU und Gewerbler. Des-    tig mit mehr Herz und Verstand einge-
           Gemüt und die Gesundheit. Unser  mündiger Bürger und handelt eigen-              halb stehen auch sie in der Verantwor-    kauft wird: «Auch hier in der Schweiz
           Glück besteht darin, dass wir in ei-    verantwortlich. Halten wir diese Tu-     tung!» so Flückiger.                      kann man preiswert einkaufen und die
           nem Land leben dürfen, welches eine  genden auch dann aufrecht, wenn ein         Weiter gibt sie zu bedenken, dass gerade  Differenz zum Ausland ist vernachläs-
           einzigartige Natur bietet. Ein Land, in  Rahmenabkommen mit der EU abge-         jetzt in der Pandemie der Einkaufstou-    sigbar. Denn man muss auch beachten,
           welchem das Gesundheitswesen be-        schlossen werden soll, welches un-       rismus besonders heikel ist. Es ist auch  dass für die Anfahrt etlicher Treibstoff
           wiesen hat, dass sie diese Krise meis-  sere Rechte einschränken will. Wir       fragwürdig, weshalb beispielsweise Ba-    in die Natur verpufft wird, und Zeit kos-
           tern kann. Ärzte und Pflegepersonal,  wollen ja nicht plötzlich, dass Brüssel    den-Württemberg für Einkaufstouris-       tet auch Geld.» Sie appelliert aber auch
           welche sich um Patienten kümmern,  einen politischen Lockdown über die           ten eine Coronaregel eingeführt hat, wo-  an die öffentliche Hand, ein Vorbild zu
           nicht nur um Corona-Patienten. Man  Schweiz verhängt.                            nach Leute aus mehreren Kantonen (da-     sein, gerade jetzt die Aufträge nicht zu-
           sollte nicht vergessen, dass viele                                               runter Aargau und Solothurn) für maxi-    rückzustellen, und bei Arbeitsvergaben
           Personen an ernsthaften Erkrankun-      Bleiben Sie gesund und leben Sie ge-     mal 24 Stunden einreisen können. Das  unsere heimischen Unternehmen zu be-
           gen in unserem Lande leiden, welche  rade auch in schwierigen Zeiten.            ist ein Anreiz für das weitere Einkau-    rücksichtigen.
           zeitgerecht behandelt werden müs-                                                fen im Ausland. Von den ökonomischen
                                                                                            und ökologischen Auswirkungen ganz zu                             Corinne Remund
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