Page 3 - Luzerner Seewoche - KW 13 - 2021
P. 3
DIENSTAG, 30. MÄRZ 2021 SEITE 3
FORTSETZUNG
Innovation aus
der Tradition
Den ersten Schritt dazu hat er
bereits vor sechs Jahren ge- Mit spitzer Feder …
macht, als er sich entschloss,
nicht mehr Teil dieser globali-
sierten Lebensmittelindustrie
zu sein und sich selbstständig Eine Prise
machte. Als ausgebildeter Le-
bensmitteltechnologe, der unter
anderem in einer Grossmetzge- Empörung reicht!
rei gearbeitet und in Jamaika
einige Monate eine Metzgerei
geleitet hat, hat er das Rüst-
zeug dazu. Er kennt das Me- Wir kennen es alle: Seit einem sie zeigt uns an, wenn unsere
tier bestens. «Ich wusste, dass Jahr werden wir in den Medien Werte verletzt werden. Aber ist
ich etwas Sinnvolles machen – sei es nun via Print, online, im ein Gericht erst einmal versal-
wollte, das mir aber auch Spass TV oder auf sämtlichen sozialen zen, so ist es schlichtweg nicht
macht», so Hirt. In seiner Phi- Kanälen – überschüttet und zu- mehr essbar. So verhält es sich
losophie geht es um Nachhal- gedröhnt mit Meldungen über auch mit der Empörung.
tigkeit und mit Sorgfalt herge- das Coronavirus und die Pan-
stellte Produkte. Er steckt viel demie. Dabei schüren die Me- Drehen wir die Zeit zwei, vier
Herzblut in die nachhaltige Le- dien bewusst Empörung – tag- Monate zurück und schauen
bensmittelproduktion. Alpen- täglich und sie hören nicht auf über den grossen Teich: Die
Hirt ist ein Label, das Bündner damit. Sie bauen diese gewal- beste Art von Journalisten, mit
Trockenfleisch-Produkte nach tige Empörungswelle mit perfi- dem «Trump-Theater» umzuge-
strengsten ökologischen Stan- der Logik auf, spalten dabei die hen, ist meiner Meinung nach
dards produziert, so wie dies Menschen und schlagen da- genau das: kühl recherchieren-
schon sein Urneni Toni Hassler raus erst noch Kapital – auch der, unaufgeregt präsentierter
gemacht hatte, den er gleich im in der Schweiz. Selbst renom- Journalismus, sachliche Analy-
Logo verewigte. Bild: zVg mierte Blätter machen bei die- sen, ausgeruhte Einordnungen.
Nachhaltig produziert, ohne Zusatzstoffe, Pökelsalz oder Zucker: Diverse ser Empörungsökonomie mit. Ich glaube, dass das letztlich
Die gesamte Produktionskette Salsiz-Sorten und Bergfleisch, aus dem Bündnerland. Damit wird bewusst ein Keil in auch wirkungsvoller ist. Es ist in
von AlpenHirt baut auf die tra- unsere Gesellschaft getrieben. aller Regel viel besser, über ei-
ditionelle Fleischverarbeitung Verpackt und versendet wird beinhaltet ein ethisches Um- Dies hat zur Folge, dass vor al- nen Aufreger nicht in aufgereg-
auf. Die Rezeptur wurde von das reine und natürliche Tro- feld. Dazu gehört für ihn auch lem Personen und Gruppen an tem Tonfall zu berichten, son-
Generation zu Generation wei- ckenfleisch dann durch Alpen- ein wertschätzender Preis. «Bei den Rändern des politischen dern die aufregenden Fakten
tergegeben. «Die ganze Wert- Hirt aus dem Bündner Bergdorf mir bekommen die Bauern et- Spektrums Empörung weiter nüchtern zu präsentieren, so
schöpfungskette ist transparent Tschiertschen im Schanfigg in was mehr. Pro Kuh zahle ich anfachen – vorgelebt von sen- dass der Leser sich möglichst
und nachvollziehbar», so Hirt. die gesamte Deutschschweiz. rund 3300 Franken. Dement- sationssüchtigen Schreiberlin- nicht aufregt. Es ist wahrschein-
«Die Mutterkühe, die natürlich Alle Zutaten stammen aus der sprechend kosten auch unsere gen. Oftmals wird ein Thema lich auch die einzige Chance,
ernährt werden, wurden durch- Region: «Ich setze Zusatzstoffe, Produkte mehr», sagt Hirt. okkupiert und seziert, Tä- ein Publikum zu erreichen, das
schnittlich zehn Jahre alt und Pökelsalz oder Zucker nicht ter werden gebrandmarkt und nicht schon vorempört in die
verbrachten acht Alpsommer ein, dafür Rotwein, Alpensalz Mit grossen Plänen schliesslich folgt die Androhung Berichterstattung einsteigt. Alle
friedlich grasend und Kräuter und Gewürz, wie es einst mein in die Zukunft der Apokalypse, wenn nicht so- anderen werden von der Em-
wiederkäuend auf der Bündner Urneni tat.» Das einzelne Tier 15 Tonnen Trockenfleisch pro- fort etwas getan wird! Im di- pörung eher abgeschreckt und
Alp. «Nur gesunde und wesens- kann bis zum Bauer zurückver- duziert Hirt pro Jahr und macht gitalen Zeitalter kann dies je- können durch Fakten dann
gerecht gehaltene Nutztiere lie- folgt werden. «Ich kenne von je- damit rund eine Million Umsatz. der Einzelne öffentlich tun. Und auch nicht mehr erreicht wer-
fern uns gute und gesunde Nah- dem den Namen und die Her- Zu seinen Absatzmärkten gehö- nicht mehr nur prominente Per- den. Dabei wäre das wichtig,
rungsmittel», so das Credo von kunft.» ren der Direktverkauf an Mes- sönlichkeiten sind im Faden- denn viele der Verschwörungs-
AlpenHirt. Die Transportwege sen und Märkten sowie in sei- kreuz öffentlicher Empörung. theorien lassen sich sachlich
der Tiere sind kurz. Oft wer- Hirt ist sowohl nahe beim Bau- nem «Lädali» in Tschiertschen, Das Anprangern, Diffamieren widerlegen. Das wäre eine gute
den die Kühne mit einem Last- ern als auch beim Konsumen- der Wiederverkauf in rund 120 und Diskreditieren haben im Aufgabe für Journalisten. Hin-
wagen ins Unterland transpor- ten – der persönliche Kontakt Geschäfte in der Schweiz, vom digitalen Zeitalter auch gegen ter der demonstrativen Emoti-
tiert. «Was gut für das Tier ist, liegt ihm am Herzen. «Ich war Feinkost- und Bio-Laden über gänzlich Unbekannte mächtig onalität steckt auch eine ten-
ist auch gut für den Bauer, für in den ersten drei Jahren sehr Globus, Manor bis hin zu Volg an Fahrt aufgenommen. denzielle Unterschätzung des
den Konsumenten, für die Pro- aktiv unterwegs und im Kontakt und Reformhäusern. Aktuell Publikums. Als könnte es nicht
duzenten sowie für den gesam- mit Kunden an Messen, Märk- sehr beliebt ist auch der On- Als ehrlicher, loyaler Mensch selbst, wenn es die Fakten ver-
ten Kanton», sagt der innovative ten, in der Metzgerei oder beim line-Shop. «Hier konnten wir und verantwortungsvolle Jour- ständlich präsentiert bekommt,
Jungunternehmer «So bleibt die Bauer. Rund 80 Bauern aus der den Umsatz im letzten Jahr um nalistin mit Berufsstolz ist mir zu den «richtigen» Urteilen und
Wertschöpfung in der Region.» Surselva gehören zu seinen Lie- rund 20 Prozent steigern.» Mit Transparenz und Ethik beim Empfindungen kommen. Und
In der Mazlaria Nay in Trun wird feranten. «Die Bauern habe alle seinem reinen und natürlichen Schreiben wichtig. Daher emp- was das Publikum, die Le-
geschlachtet und zerlegt, bei der eine Beziehung zu ihren Tieren Trockenfleisch will Hirt nicht finde ich diese Empörungswelle ser betrifft. So müssen sie (ler-
Sialm AG in Segnas getrocknet. aufgebaut. Seine Philosophie besser sein, sondern einfach unangenehmer als die epide- nen), Informationen im digita-
anders und mit einer direkten, miologische Welle. Ich wünsche len Zeitalter richtig einschätzen
frechen und peppigen Art pola- mir von Journalisten, gerade in zu können. Dazu gehört, ver-
NACHHALTIG WACHSEN risieren. «Der Mensch ist ein diesen aufgeregten und aufre- schiedene Quellen zu nutzen,
genden Zeiten, Nüchternheit. die eigene Bubble zu sprengen
Gewohnheitstier, deshalb ist es
Trotz Krise Visionen realisieren schwierig, ihn für diese nach- Es geht dabei gar nicht so sehr und Aufrufe der Empörung als
haltige Lebensmittelproduktion um die ewigen und oft elenden das zu erkennen was sie sind:
zu sensibilisieren. Wir müssen Fragen von Objektivität oder Geldmacherei. Es liegt nämlich
Adrian Hirt ist ein Macher. Immer wieder denkt er vorwärts, unsere Philosophie immer wie- Neutralität. Und es geht schon an jedem Einzelnen, die Empö-
setzt sich neue Ziele und entwickelt Visionen. Für dieses Jahr der erklären und uns positio- gar nicht darum, skandalöse, rungswelle an den Fakten zu
hat er einen Relaunch seines Unternehmens geplant. «Mein nieren.» Das ist für den Grün- empörende Dinge nicht beim zerschellen lassen – mit ver-
Ziel ist es schweizweit der grösste Kleinproduzent für gesunde der des Bündner Start-ups eine Namen zu nennen. Es geht um nünftigem Denken, einer Por-
und nachhaltige Ernährung zu werden», erklärt der innova- der grössten Herausforderung, emotionale Distanz und eine tion Selbstreflektion und dem
tive Unternehmer. Und er konkretisiert: «Wir werden unser die er aber mit viel Passion und journalistische Haltung, die den Bauchgefühl.
Produktesortiment ausbauen, immer aber auch einen Teil der Liebe zum Detail täglich meis- Menschen im Publikum nicht
Produkte selbst veredeln.» Dazu will der innovative Bündner tert. Die Zeit für sein Anliegen sagt, wie sie sich fühlen sollen,
sein Team erweitern und ist aktuell auf der Suche nach weite- ist reif, deshalb hat der junge sondern ihnen alle Fakten lie- Herzlichst,
ren Wegbegleitern. Bündner für dieses Jahr grosse fert, damit sie sich eine eigene Ihre Corinne Remund
Geplant ist zudem, die regionalen und nachhaltigen Produkte Pläne und gibt Vollgas. Dabei ist Meinung dazu bilden können. Verlagsredaktorin
mit dem Relaunche klarer im Premium-Sektor zu etablieren eine gesunde und nachhaltige Denn Empörung ist ein süsses
und in absehbarer Zeit in der Westschweiz eine weitere Wert- Ernährung sein täglicher An- Gift. Die meisten Menschen su-
schöpfungskette aufzubauen. trieb» (vgl. Kasten). chen sie, um sich an ihr zu be-
CR rauschen. Eine Prise Empörung
mag ja gut und recht sein, denn
Corinne Remund